Ein Programmzettel zum Theater der Mächtigen : zur Kritik an herrschaftstragenden Inszenierungen im "Hessischen Landboten"
Franz, Joachim
DOI:
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https://doi.org/10.1515/9783110280593.25
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URL:
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https://www.degruyter.com/view/books/9783110280593...
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Dokumenttyp:
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Zeitschriftenartikel
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Erscheinungsjahr:
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2012
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Titel einer Zeitschrift oder einer Reihe:
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Georg-Büchner-Jahrbuch
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Band/Volume:
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12
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Seitenbereich:
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25-44
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Ort der Veröffentlichung:
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Berlin [u.a.]
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Verlag:
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de Gruyter
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ISBN:
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978-3-11-043074-5 , 978-3-11-028059-3
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ISSN:
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0722-3420
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Sprache der Veröffentlichung:
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Deutsch
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Einrichtung:
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Philosophische Fakultät > Neuere deutsche Literaturwissenschaft I (Fetscher 2010-)
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Fachgebiet:
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830 Deutsche Literatur
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Normierte Schlagwörter (SWD):
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Büchner, Georg / Der hessische Landbote
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Abstract:
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Büchners Einstellung zu den prominentesten Schriftstellern der vormärzlichen Opposition, dem Kreis des Jungen Deutschlands, ist bekannt: Beharrlich widersetzt er sich den wohlmeinenden Ratschlägen seines Förderers Karl Gutzkow, sich am „Schmuggelhandel der Freiheit“ (P 398) in den einschlägigen Zeitschriften zu beteiligen und dabei „Wein verhüllt in Novellenstroh“ unter die Leser zu bringen. Dass durch solche Art von „Tagesliteratur eine völlige Umgestaltung unserer religiösen und gesellschaftlichen Ideen möglich sei“ (P 423), ist für ihn ausgeschlossen. Denn während die bürgerlichen Leser der Publikationen des Jungen Deutschlands literarischen Wein sicher zu schätzen wissen, greifen die Volksschichten, auf die es Büchner ankommt, eher zu dem in seinem Werk reichlich vertretenen Branntwein. Ausdrücklich in Abgrenzung zu den literarisch-politischen Konzepten des Jungen Deutschlands erklärt Büchner: „Ich gehe meinen Weg für mich und bleibe auf dem Felde des Drama’s“ (P 423).
Entgegen seiner geradezu unverfrorenen Schutzbehauptung, die sich an dieses Bekenntnis anschließt, ist Büchners Votum für das Drama selbstverständlich in engster Verbindung zu seinen politischen Überzeugungen und Absichten zu sehen. Büchners Theater ist ein Theater für die Gesellschaft, das eben diese Gesellschaft als Theater zu entlarven trachtet, nämlich als ein sich selbst stabilisierendes System sich unablässig wiederholender und reproduzierender Inszenierungen – von den großen Massen-Spektakeln von der Art öffentlicher Hinrichtungen oder kollektiv gefeierter Prinzenhochzeiten bis zu den allgegenwärtigen Selbstinszenierungen „in everyday life“ (Goffman) nach Art des in Dantons Tod von einfacher Pariser Bürgern zur Schau gestellten Römergehabes oder des Imponierverhaltens des Tambourmajors im Woyzeck. Ein solches System bloßzustellen, dafür ist sicherlich die Theaterbühne mit den ihr eigenen Anlagen zur Selbstreflexivität der beste Ort: Wer erst einmal auf den Schauspielcharakter des auf der Bühne Gezeigten aufmerksam gemacht ist, wird ihn in zahlreichen Geschehnissen in der Wirklichkeit wiederfinden und feststellen, dass das inszenierte Gehabe dort im Grunde ebenso unangemessen, töricht, albern und lächerlich ist, wie es auf der Bühne wirkt.
Doch auch im Medium der Flugschrift lassen sich die Verirrungen einer allzu inszenierungsgläubigen Gesellschaft kenntlich machen. Der entschiedene Dramatiker Büchner ist bereits in seinem Anteil am Hessischen Landboten deutlich zu erkennen. Wo immer in dem Text die Ausbeutung der einfachen Bevölkerung in den seziermesserscharfen Bildern Büchners angeprangert wird, ist auch der Verweis auf die gefällig inszenierte Fassade der Ausbeutungsgesellschaft nicht weit. Nicht Kolbenschläge und Blutvergießen stehen im Zentrum der Passage über das Militär, sondern Paraden und Manöver in schmucken Uniformen und unter Trommelwirbel, an denen die Söhne der Bauern mit Stolz teilnehmen. Die Verschwendung durch den Hof wird im Bild einer festlich inszenierten Prinzenhochzeit illuminiert, die ihren Luxus gerade auch als Attraktion für das einfache Volk offen zur Schau stellt. (Die dramatisch ausgeführte Entsprechung dieser Szene findet sich bekanntlich in Leonce und Lena.) Und die Passage, die sich mit dem Darmstädter Großherzog selbst befasst, legt besonderen Wert darauf, die symbolische Machtausübung des Fürsten, die alleine auf der Magie des Fürstennamens und der dem Herrscher beigelegten Titel und Attribute basiert, vorzuführen, um eben auf diese Weise den desillusionierenden Blick durch den eindrucksvollen Fürstenmantel zu ermöglichen.
Ziel des vorgeschlagenen Beitrags ist es, auf der Basis der skizzierten Beobachtungen scharf herauszuarbeiten, wie sich der spezifische Blick des Dramatikers Büchners auf die soziale Realität bereits im Hessischen Landboten äußert, wie sich hier schon eine Technik der aufklärerischen Kritik an jeglichem repressiven Sozialtheater abzeichnet, die später in den Dramen ihre sozusagen zwangsläufige Ausgestaltung erfährt. Diese Perspektive erlaubt nicht zuletzt eine schärfere Bestimmung, was den genuin Büchner’schen Anteil am Hessischen Landboten kennzeichnet, aber auch was die besondere Position Büchners in der politischen Opposition des Vormärz ausmacht.
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