Vermeidung der Stimmvergeudung an aussichtslose Kandidaten ist die bekannteste und am besten untersuchte Form strategischen Wählens. Dieses Motiv findet sich in reinster Form in Wahlkreisen, in denen ein einziges Mandat an den Sieger der relativen Mehrheitswahl zu vergeben ist. Das entsprechende Äquivalent für deutsche Bundestagswahlen ist die sogenannte Erststimme für einen der Wahlkreiskandidaten. In diesem Beitrag wird eine Erststimme als potentiell strategisch angenommen, wenn der Befragte berichtet, er habe für einen Kandidaten oder eine Kandidatin der von ihm zweitpräferierten statt der erstpräferierten Partei gestimmt. Wir zeigen mit geeigneten Daten für die Bundestagswahlen 1998 und 2002 in West- und Ostdeutschland, dass dieses Verhalten erklärt werden kann mit dem von McKelvey und Ordeshook formulierten Wählerkalkül: Je niedriger die erwartete Nutzendifferenz zwischen erst- und zweitpräferierter bzw. zwischen erst- und drittpräferierter Partei und je höher die erwartete Nutzendifferenz zwischen zweit- und drittpräferierter Partei, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit strategischen Wählens. Die Erwartungen beziehen sich auf den Einfluss der eigenen Stimme auf das Endergebnis im Wahlkreis, die wir mit den Pattwahrscheinlichkeiten zwischen dem Gewinner und erstem und zweitem Verlierer im Wahlkreis messen. Erest wenn die Wahl der Zweitpräferenz positiv auf entsprechende knappe Wahlkreisergebnisse reagiert, wird aus dem potentiell strategischen oder „unehrlichen“ (unsincere) Verhalten tatsächlich strategisches Wahlverhalten.
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