Am Vorabend der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bot die Stadt Erfurt das typische Bild einer „real existierenden“ sozialistischen Stadt in der DDR: Sie entsprach zwar nicht den utopischen Vorstellungen einer idealtypischen sozialistischen Stadt, aber in ihrer baulichen Substanz wie in ihrer funktionalen Struktur spiegelten sich die städtebaulichen Entwicklungen einer 40 Jahre andauernden Epoche zentralistisch-diktatorischer und planwirtschaftlicher Entscheidungsstrukturen. Obwohl die Stadt von größeren Schäden im Zweiten Weltkrieg verschont blieb, führte der Großplattenbau seit den sechziger Jahren zu empfindlichen Zerstörungen der Stadtstruktur in den Randbereichen der mittelalterlichen Stadt und den Übergängen zu den gründerzeitlichen Stadterweiterungen. Zwar blieb der Altstadtkern im wesentlichen unangetastet, jedoch haben die großflächigen sozialistischen Wohn- und Industriegebiete im Norden und Süden die Stadt überformt und nachhaltig geprägt. Abgesehen von der geplanten, aber nicht realisierten Höhendominante sind die physiognomisch-funktionalen Kennzeichen sozialistischen Städtebaus auch in Erfurt zu finden. Die nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen Wohnkomplexe und -siedlungen spiegeln die jeweils gültigen Grundsätze des sozialistischen Städtebaus der DDR wieder, wobei aufgrund des geringen Zerstörungsgrades der Wohnsubstanz und des Aufbaus der metallverarbeitenden und elektrotechnischen Industrie das zahlenmäßige Schwergewicht des Erfurter Wohnungsbaus auf den Bauformen der siebziger und achtziger Jahre liegt.
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