Bürgergeld in Schule – Wie der Transferleistungsbezug von Schüler*innen in schulischen Interaktionen sichtbar wird und welche (stereotypen) Erwartungen Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus dem Transferleistungsbezug haben


Yendell, Oscar ; Claus, Carolina ; Karst, Karina



Dokumenttyp: Präsentation auf Konferenz
Erscheinungsjahr: 2024
Veranstaltungstitel: GEBF-Tagung 2024, 11. Jahrestagung der Gesellschaft für Empirische Bildungs­forschung „Bildung verstehen - Partizipation erreichen - Transfer gestalten"
Veranstaltungsort: Potsdam, Germany
Veranstaltungsdatum: 18.-20.03.2024
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Sprache der Veröffentlichung: Deutsch
Einrichtung: Fakultät für Sozialwissenschaften > Unterrichtsqualität in heterogenen Kontexten (Karst 2023-)
Fachgebiet: 150 Psychologie
300 Sozialwissenschaften, Soziologie, Anthropologie
370 Erziehung, Schul- und Bildungswesen
Abstract: Studien zeigen, dass Schüler*innen niedriger sozioökonomischer Herkünfte (SES) von (angehenden) Lehrkräften u.a. im Hinblick auf Intelligenz und Sozialverhalten negativer stereotypisiert werden als Schüler*innen höherer SES (Dunkake & Schuchart, 2015; Eagly & Chaiken, 1993; Glock & Kleen, 2020). Dies kann niedrigere Leistungserwartungen zur Folge haben (Gentrup et al., 2018). Zusätzlich wird gezeigt, dass unterschiedliche niedrige SES unterschiedlich stereotypisiert werden. Transferleistungsbeziehende (Bürgergeld bzw. ehemals „Hartz-4“) werden von angehenden Lehrkräften u.a. in Hinblick auf Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein negativer stereotypisiert als Einkommensarme ohne Transferleistungsbezug (Yendell et al., 2023). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich in außerschulischen Studien (Henry et al., 2004; Suomi et al., 2022). Obgleich ca. zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland Transferleistungen beziehen (Bundesagentur für Arbeit, 2023), ist bisher unbekannt, ob und in welchen Interaktionen der Transferleistungsbezug von Schüler*innen für Lehrkräfte sichtbar wird. Ebenso ist unbekannt, welche Erwartungen Lehrkräfte an diese Schüler*innen haben und welche Rolle Stereotype dabei spielen. Um diesem Desiderat zu begegnen, richtet sich der Beitrag am „Doing Difference“-Ansatz aus, nach dem soziale Kategorien (z.B. Transferleistungsbeziehende) in schulischen Interaktionen „getan“ und sichtbar werden (West & Fenstermaker, 1995). Erwartungen durch Lehrkräfte können als Kern dieses Ansatzes verstanden werden, da sie eine Rechenschaftspflicht an Schüler*innen in Bezug auf Gruppenzugehörigkeit (Transferleistungsbezug) und Situation (Schule) formulieren (Hollander, 2013). Stereotype können Teil dieser Erwartungen sein (Imhoff, 2021). Untersucht wird, ob und in welchen Interaktionen der Transferleistungsbezug von Schüler*innen für Lehrkräfte sichtbar und wahrnehmbar wird. Zusätzlich wird untersucht, welche Erwartungen Lehrkräfte gegenüber diesen Schüler*innen äußern und welche Bedeutung Stereotype dabei haben. Die Erhebung wurde durch sechs Gruppendiskussionen mit Sekundärschullehrkräften (N=24) an gymnasialen und nicht-gymnasialen Schulformen zwischen Juni und Oktober 2023 realisiert. Gruppendiskussionen wurden als Raum für das interaktive „Doing“ verstanden, indem Lehrkräfte über Interaktionssituationen berichten und eigene Erwartungen auf den Transferleistungsbezug von Schüler*innen durch Sprache „tun“ konnten (Barbour, 2018; Hollander & Ableson, 2014; Morgan, 2019). Hierdurch wurde dessen (Nicht-)Bedeutung für die Schule miteinander ausgehandelt. Die Auswertung orientierte sich an der Grounded Theory (Corbin & Strauss, 1990; Strauss & Corbin, 1998), im Zuge dessen Kernkategorien gebildet wurden. Diese stellen einerseits Interaktionen dar, in denen der Transferleistungsbezug von Schüler*innen für Lehrkräfte sichtbar und wahrnehmbar wird. Zum anderen stellen sie die Erwartungen der Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus den Transferleistungsbezug und damit verbundene Stereotype dar. Übergreifend berichten die Lehrkräfte, dass der Transferleistungsbezug in der Interaktion zwischen Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern sichtbar wird. Beispielsweise in Interaktionen, in denen Schüler*innen über den Transferleistungsbezug berichten, da sie ihre Eltern bei Behördengängen während der Schulzeit begleiten. Darüber hinaus erwähnen Lehrkräfte bürokratische Tätigkeiten, die sie übernehmen müssen, z.B. Antragsstellungen zur Finanzierung von Schulausflügen, Mittagsverpflegung oder Schulmaterialien. Die Lehrkräfte formulieren, dass sie für Eltern teilweise als erste Ansprechpersonen in Bezug auf bildungsbezogene behördliche Fragestellungen dienen. Im Hinblick auf Erwartungen, werden Eltern durch einige Lehrkräfte wegen ihres Transferleistungsbezuges als schlechte Vorbilder adressiert, da ihnen eine geringe Leistungsbereitschaft zugeschrieben wird. Zudem werden sie als verantwortungslos umschrieben, indem ein geringes Bildungsinteresse und ein verantwortungsloser Konsum benannt wird. Gleichzeitig wird eine kulturelle Vererbung dieser Verhaltensweisen an die Kinder antizipiert. Das Wissen um den Transferleistungsbezug wird dann genutzt, um schlechte Schüler*innenleistungen durch die wahrgenommene Vererbung zu begründen. Gleichzeitig wird eine Machtlosigkeit in Hinblick auf die eigene Tätigkeit formuliert. Andere Lehrkräfte, die zum Teil an derselben Schule arbeiten, beschreiben Eltern und Kinder hingegen als interessiert an schulischer Bildung. Die eigene Tätigkeit erleben sie als eine Unterstützung von Schüler*innen im Transferleistungsbezug, die auch gemeinsam mit Eltern geleistet wird. Zur Begründung dieser unterschiedlichen Sichtweisen wird auf die oben aufgeführten Interaktionen mit Eltern und Schüler*innen verwiesen. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund weiterer notwendiger Studien diskutiert, die das „Doing“ vom Transferleistungsbezug in Interaktion zwischen Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften direkt und multiperspektivisch untersuchen.


SDG 10: Weniger Ungleichheiten





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